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Goethe: Phänomen


Hamburg by Rickshaw - Die Elbphilharmonie unterm Regenbogen

Wenn zu der Regenwand

Phöbus sich gattet,

Gleich steht ein Bogenrand

Farbig beschattet.

 

Im Nebel gleichen Kreis

Seh ich gezogen,

Zwar ist der Bogen weiß,

Doch Himmelsbogen.

 

So sollst du, muntrer Greis,

Dich nicht betrüben,

Sind gleich die Haare weiß, 

Doch wirst du lieben.


Das Bild des Regenbogens, das Johann Wolfgang von Goethe in seinen Gedicht „Phänomen“ verwendet, hat nicht nur eine lange Tradition, sondern findet sich auch in vielen Kulturen wieder:

  • Es ist im Buch Genesis Kapitel 9, Vers 12-17 ein Zeichen des Bundes, den Gott mit den Menschen schloss, damit niemals wieder eine Sintflut fast alles Leben auf der Erde vernichtet.
  • In der Schlacht bei Frankenhausen am 15. Mai 1525, einer der blutigsten Auseinandersetzungen des Deutschen Bauernkriegs, kämpften die vom radikalen Theologen Thomas Müntzer angeführten Aufständischen im Zeichen des Regenbogens für einen egalitären Gesellschaftsumbau. Müntzer hatte im Januar 1525, als er seine Pfarrstelle in der Marienkirche in Mühlhausen/ Thüringen antrat, erstmals in der Geschichte eine Regenbogenflagge gehisst. Diese Ur-Regenbogenfahne bestand aus einem weißen Tuch mit einem Regenbogen und zwei Schriftzügen. In lateinischer Sprache war darauf zu lesen: „verbum domini maneat in etternum“, was so viel bedeutet wie „das Wort des Herrn bleibe in Ewigkeit“. Darunter stand in deutscher Sprache: „Das ist das Zeichen des ewigen Bundes Gottes.“ 
  • Bei den Griechen ist der Regenbogen der Bote der Götter Ilias 23,198 ff. Er tritt als Vermittler mit den Menschen auf. Im Laufe der Zeit wandelt er sich zu einem lieblichen Mädchen, der jungfräulichen Göttin Iris. 
  • In der germanischen Mythologie erscheint mit dem Regenbogen, der die Welt der Götter mit der Welt der Menschen verbindet, etwas Neues und Unerhörtes auf der Welt: Die himmlischen Reiterinnen, die Walküren, kreisen von Odin, dem König der Götter, gesandt, über dem Schlachtfeld. Sie suchen unter den Gefallenen die Besten, die Mutigsten und Stärksten. Sie betten die Toten vor sich auf den Rücken ihrer Pferde und ziehen mit ihnen davon in die Lüfte. Über Bifröst, die große Regenbogenbrücke, bringen sie ihre Beute heim nach Asgard, in die Götterburg, die wie ein Berg im Zentrum der Welt emporragt.
  • In der irischen Mythologie weiß der Leprechaun, wo am Ende des Regenbogens ein Goldschatz vergraben liegt.
  • In einer alten japanischen Legende, im Westen bekannt geworden auch durch Akira Kurosawas Film Träume, feiern die Füchse am Ende des Regenbogens Hochzeit.
  • Einige Formen des tibetischen Buddhismus beziehen sich auf einen Regenbogenkörper, d.h. auf eine Ebene der Selbstverwirklichung, wo vollständiges Wissen erlangt werden kann.
  • Die Regenbogenschlange der Aborigines formt in ihrer Erscheinung als weiblicher Erdgeist auf der Erde Berge, Täler und Wasserlöcher. In ihrer männlichen Erscheinung als Sonne schafft sie den Regenbogen.
  • Auch bei den Inka in Südamerika und den Navajo in Nordamerika finden wir den Regenbogen in den Schöpfungsgeschichten wieder.
  • Stellvertretend für die Pop-Kultur der Moderne schildern die Rolling Stones in ihrem Song She's A Rainbow aus dem Jahre 1967 diverse Drogenerfahrungen und bedienen sich dabei der Farbenpracht des Regenbogens als Metapher für die Weiblichkeit.
  • Schließlich ist die liebliche Göttin Iris auch in Goethes Haus in Weimar, am Frauenplan, zusammen mit einem Regenbogen dargestellt. Als sogenanntes Deckenauge beherrscht das Gemälde den oberen Teil des Flurs. Im Lichte dieser Platzierung wäre auch der konkrete biografische Bezug des Gedichts zu deuten. 

Fazit: Als Bestandteil von vielen unterschiedlichen, auch autochthonen Kulturen ist der Regenbogen nicht nur ein Symbol der Vielfalt, das in der Postmoderne wiederentdeckt wurde, sondern ein Gleichnis, das allen und jedem Menschen gehört.

Goethes "Faust" erkennt – im zwischen Klarheit und Zerfließen wechselnden Regenbogen - den Spiegel des menschlichen Strebens und damit, dass eine unmittelbare und eindeutige Erkenntnis des Lebens nicht möglich sei. Vorerst gälte es, das diesseitige Leben zu leben. Erst jenseitige Gnade würde uns zu „höhern Sphären“ führen.