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CumEx, Gier und Macht


Hamburg: Es ist Ebbe in den Kassen. Der Bodensatz stinkt zum Himmel.


Nach mir die Sintflut!

Eine Finanzgroteske von MIchael Kohlhaas


Die folgende Kurzgeschichte erzählt nur eine Geschichte. Sie basiert zum Teil auf Anregungen und einigen realen Ereignissen, die Handlung ist jedoch hiervon völlig unabhängig und rein fiktional. Weder Geschehnisse noch Personen und deren Umfeld sind real oder authentisch wiedergegeben. Ähnlichkeiten wären rein zufällig. Der Autor hat mit dieser Kurzgeschichte ein eigenes neues Werk geschaffen.


Es war ein kühler, diesiger Herbstabend in Hamburg. Die Lichter der Stadt spiegelten sich auf den nassen Straßen, und die Elbe glitzerte unter dem fahlen Licht des Mondes. Im Inneren eines noblen Restaurants an der Binnenalster, wo die Eliten der Stadt diskret ihre Geschäfte besprachen, saßen zwei Männer in einer abgelegenen Ecke, tief in ein Gespräch vertieft.

„Du verstehst, warum ich dich hierher eingeladen habe, Otto?“ fragte der ältere Mann mit ernster Miene. Sein Name war Christoph Ohlsdorf, ein einflussreicher Mann in der Hamburger Finanzwelt, Vorstand der traditionsreichen Kahrstein-Bank.

Otto Schneider, der damalige Bürgermeister von Hamburg, nippte an seinem Riesling und musterte Ohlsdorf mit undurchdringlichem Blick. „Ich kann es mir denken, Christoph. Es geht um diese Cum-Ex-Geschäfte, nicht wahr?“

Ohlsdorf nickte, sein Gesicht eine Maske aus Besorgnis. „Die Steuerbehörden sind uns auf den Fersen. Diese Staatsanwältin, Brohenker, sie ist wie ein Terrier. Einmal festgebissen, lässt sie nicht mehr los. Wir brauchen Zeit, Otto. Zeit, um alles in Ordnung zu bringen.“

Schneider stellte sein Glas ab, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Zeit? Christoph, das ist ein delikates Thema. Wir sprechen hier von hunderten Millionen Euro, die dem Staat entgangen sind. Wenn das rauskommt…“

„Wenn?“ Ohlsdorf unterbrach ihn mit einer scharfen Geste. „Es ist bereits raus, Otto. Aber was zählt, ist, wie damit umgegangen wird. Die Kahrstein-Bank hat ihre Wurzeln hier in Hamburg, wir haben immer zum Wohl der Stadt beigetragen. Wir können das wieder gutmachen, aber dafür brauchen wir deine Unterstützung. Du hast doch einen Draht zur HSH Nordbank. Da hast du Kontakte, die uns helfen könnten.“

Schneider sah Ohlsdorf lange an, bevor er leise seufzte. „Christoph, ich bin Politiker. Und als solcher muss ich nicht nur den kurzfristigen Vorteil, sondern auch die langfristigen Konsequenzen im Blick haben. Der Cum-Ex-Skandal hat das Potenzial, das Vertrauen in die gesamte deutsche Finanzbranche zu erschüttern. Und was glaubst du, wie das auf mich und meine Zukunft zurückfallen könnte?“

„Zukunft…“ Ohlsdorf grinste trocken. „Du denkst an die Kanzlerschaft, nicht wahr? Otto, du bist ein kluger Mann, aber unterschätze nicht die Macht der Finanzwelt. Wenn die Kahrstein-Bank fällt, zieht sie vieles mit sich. Auch einige deiner wichtigsten Freunde könnten betroffen sein.“

In dem Moment trat eine Kellnerin an den Tisch, und das Gespräch verstummte. Nachdem die Bestellung aufgegeben war, beugte sich Ohlsdorf wieder vor. „Schau, Otto. Wir haben Beziehungen zu einigen Investorengruppen, die ebenfalls von den Cum-Ex-Geschäfte betroffen sind. Wenn du uns unterstützt, können wir sicherstellen, dass der Schaden begrenzt bleibt. Es gibt Wege, die HSH Nordbank und andere Partner ins Boot zu holen. Du musst nur den richtigen Hebel finden.“

„Und was ist mit dieser Staatsanwältin?“ fragte Schneider, seine Stimme nun leiser. „Anne Brohenker. Sie ist kein einfacher Gegner. Es wird schwer sein, sie abzulenken oder zu bremsen.“

„Brohenker ist eine Idealistin,“ antwortete Ohlsdorf, während er seine Finger auf der Tischplatte tippte. „Aber Idealisten haben oft ein Problem: Sie sind naiv. Wir müssen ihr einfach einen anderen Knochen hinwerfen, der sie beschäftigt hält. Es gibt genug Fälle, in denen sie sich verbeißen kann. Wir müssen nur dafür sorgen, dass Kahrstein und unsere Partner nicht ins Zentrum der Ermittlungen rücken.“

Schneider nickte langsam, doch ein Anflug von Besorgnis schlich sich in seinen Blick. „Ich verstehe, was du sagst. Aber was, wenn es nicht funktioniert? Was, wenn die Öffentlichkeit Wind davon bekommt, dass ich die Finger im Spiel habe?“

„Dann wird man dich als denjenigen sehen, der versucht hat, den Schaden für Hamburg und Deutschland zu begrenzen,“ erwiderte Ohlsdorf glatt. „Du handelst im Interesse des Gemeinwohls, Otto. Denk daran, was auf dem Spiel steht. Es ist nicht nur deine Karriere, es ist die Stabilität einer Institution, die seit über 200 Jahren besteht.“

Schneider schwieg, seine Gedanken rasten. Er wusste, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegte. Die Verbindung zwischen Politik und Finanzwelt war immer ein Tanz auf dem Drahtseil, und ein falscher Schritt konnte katastrophale Folgen haben.

„Ich werde sehen, was ich tun kann,“ sagte Schneider schließlich, wobei seine Stimme einen Hauch von Entschlossenheit verriet. „Aber Christoph, das hier darf niemals direkt mit mir in Verbindung gebracht werden. Sollte es eine Untersuchung geben, werde ich nicht derjenige sein, der zur Verantwortung gezogen wird.“

Ohlsdorf nickte zufrieden. „Natürlich, Otto. Du wirst sauber aus dieser Sache herauskommen. Dafür werde ich sorgen.“

Wenige Wochen später, an einem regnerischen Nachmittag in einem tristen Bürogebäude in Köln, saß Anne Brohenker über einem Berg von Akten. Die Staatsanwältin war unermüdlich in ihrer Jagd auf diejenigen, die das Steuersystem Deutschlands ausgenutzt hatten. Die Cum-Ex-Geschäfte hatten dem Staat seit 1976 Milliarden gekostet, und sie war fest entschlossen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Ein Kollege betrat das Büro, eine Tasse Kaffee in der Hand. „Du machst hier Überstunden, Anne. Woran arbeitest du gerade?“

Brohenker sah auf, ihre Augen funkelten vor Entschlossenheit. „Ich habe das Gefühl, dass wir uns den großen Fischen nähern. Die Kahrstein-Bank ist ein Schlüssel. Und ich glaube, dass einige Leute in hohen Positionen sehr nervös werden, wenn wir weitergraben.“

„Du meinst Otto Schneider?“ fragte der Kollege und hob eine Augenbraue. „Er ist ein schwieriger Fall. Da muss man vorsichtig sein.“

„Vorsichtig?“ Brohenker lehnte sich zurück und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. „Ich denke, die Wahrheit ist es wert, dass man sich die Finger verbrennt. Wir müssen nur die richtigen Verbindungen aufdecken. Der Skandal geht tiefer, als die meisten glauben.“

Während die Ermittlungen voranschritten, wurde klar, dass die Verstrickungen zwischen Politik und Finanzwelt viel tiefer reichten als ursprünglich angenommen. Die Rolle der HSH Nordbank, die Verbindungen zum globalen Finanzsystem und die Machenschaften der Kahrstein-Bank formten ein komplexes Netz, das es zu entwirren galt. Und inmitten dieses Netzes befand sich Otto Schneider, der Mann, der Hamburg einst aus der Finanzkrise geführt hatte und nun selbst ins Visier der Justiz geraten war.

Hamburgs Straßen waren weiterhin nass und dunkel, als Schneider spät in der Nacht durch die Stadt fuhr, die er so gut kannte. Der Regen prasselte auf das Autodach, und die Lichter verschwammen zu einem kaleidoskopischen Muster. In Gedanken versunken, fragte er sich, ob er wirklich alle Fäden in der Hand hielt oder ob er selbst nur eine Marionette in einem Spiel war, dessen Regeln er nicht mehr kontrollieren konnte.

„Nach mir die Sintflut,“ murmelte er zu sich selbst, während er den Blick auf die funkelnde Skyline richtete. „Ich brauche jetzt eine ruhige Hand und das nötige Augenmaß.“ Und während die Stadt im Regen versank, wusste Schneider, dass die kommenden Wochen entscheidend sein würden – nicht nur für seine politische Karriere, sondern für die Zukunft einer ganzen Branche, die im Schatten ihres eigenen Erfolgs zu zerfallen drohte.

In einer der stillen Ecken Hamburgs, in einem noblen Apartment, lehnte sich Christoph Ohlsdorf in seinem Sessel zurück und griff nach einem Glas Whisky. Er hatte das Spiel lange genug gespielt, um zu wissen, dass es keine einfachen Siege gab. Aber eines war sicher: Die Karten waren gemischt, und das nächste Blatt würde zeigen, wer am Ende als Gewinner hervorging.

Währenddessen, in einem kleinen Büro in Köln, wo die Lichter noch brannten, plante Anne Brohenker bereits ihren nächsten Zug. Das Spiel war noch lange nicht entschieden, und sie war fest entschlossen, bis zum bitteren Ende zu kämpfen.


Eklat im Hamburger Untersuchungsausschuss


Nach Informationen des Hamburger Magazins "Stern" fehlen in einem Sicherheitsraum zwei Laptops mit heiklen E-Mails. Weshalb?


Die heikelsten Dokumente rund um die Cum-Ex-Affäre von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sind gut geschützt. Mannshoch steht der Tresor in einem fensterlosen Raum, einige Hundert Meter vom Hamburger Rathaus entfernt. Nur ausgewählte, sicherheitsüberprüfte Personen dürfen die schweren Türen öffnen, bringen die Akten dann in den benachbarten Lesesaal, wo Abgeordnete des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses und Mitarbeiter sie unter strenger Aufsicht einsehen dürfen. 

Doch seit vergangener Woche fehlt etwas in dem Tresor: zwei Laptops mit mehr als 700.000 E-Mails, unter anderem von Olaf Scholz’ Büroleiterin, von Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher, von zahlreichen Topbeamten. Eigentlich sollten sie neue Erkenntnisse zu jener Affäre bringen, in der es so viele merkwürdige Gedächtnis- und Aktenlücken gibt. Jetzt wird nach den E-Mails gesucht.


Das "System Kahrs"


Im Juni 2024 durchsuchten Beamte nach Informationen des "Stern" den ehemaligen SPD-Politiker Johannes Kahrs und beschlagnahmten sein Handy.

Sie vermuten eine Verbindung zum Kanzler in der Cum-Ex-Affäre.

Als Johannes Kahrs seine Altbauwohnung am Hamburger Steindamm verlässt, folgen ihm unauffällig ein Mann und eine Frau.

Es ist Mittwoch, der 19. Juni 2024, 12:55 Uhr. Kahrs trägt eine Tasche und hält in der anderen Hand sein Mobiltelefon, ein iPhone 15 Pro. Die Verfolger sind Beamte des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen. Vor dem Spielcasino des Hotels "Graf Moltke" sprechen die Kriminalbeamten den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten an. Sie gehören zur Ermittlungskommission "Alster", einer Sondereinheit des LKA, die sich auf den Cum-Ex-Steuerbetrugsfall rund um die Hamburger Privatbank M. M. Warburg konzentriert. Die Beamten zeigen Kahrs ihre Dienstausweise, einen Durchsuchungsbeschluss und verlangen die Herausgabe seines Handys.