Mobilitätswende 2.0

Lust auf Wandel


Klimawandel in der Herbertstraße


Es war eine Nacht auf der Reeperbahn, wie sie nur an diesem Ort zu finden ist – glitzernde Farben, die wie verirrte Lichter über die Straße wischten und die Schatten verzerrter Gesichter und Gestalten über die Gehwege streuten. Die Straßen atmeten in einem Rhyth­mus, der fast greifbar war, ein tiefes, verborgenes Pulsieren wie das Herz eines großen, schläfrigen Tieres. Der Duft von Parfüm, gewürzt mit einer Spur Verfall und rauem Rauch, schwebte durch die Gassen und blieb auf der Haut zurück wie ein heimlicher Kuss.

Da hörte ich, dicht an meinem Ohr, eine Stimme – tief und rau, wie ein Hauch aus einer längst vergangenen Welt. „Na, Jung, verlorn op uns’m Kiez?“ Es war Klara, die sich aus dem Dunkel heraus wie eine Königin erhob, das Neonlicht schimmerte auf ihrem schmalen Gesicht, und ihre Augen blitzten vor wachem, ungezähmtem Leben. Sie hob ein Glas Champagner, dessen Bläschen wie kleine schillernde Geister aufstiegen, und winkte mich näher, ein geheimnisvolles Lächeln umspielte ihre Lippen.

„Komm rin, Jung. Hab da wat, dat genau richtig für dich is.“ Sie deutete auf ein Ledersofa, das tiefrot im dämmrigen Licht leuchtete, und ließ mich Platz nehmen, während sie sich neben mich setzte und mir eine Flasche Astra St. Pauli Luden Lager reichte. Ihre Blicke lagen wie sanfte, heiße Schatten auf mir, und dann beugte sie sich vor, die Stimme so leise wie eine verschwiegene Melodie.

„Hör mol tau“, begann sie und nippte am Glas, „wi start hüt hier op St. Pauli Mobilität 2.0. Een Rikscha-Flott för uns Gäst. De Kerlts köönt sik einfach rinleggen, un de Deerns eskortiern se ümweltfründlich dör’t Viertel.“ Sie ließ ihren Blick über das Glas hinweg gleiten, bevor sie mit einem schelmischen Lächeln fortfuhr: „De Jungen warrn as in’n Kinnerwagen sacht dör de Nacht wiegt, un am Enn wüss se kaum noch, ob dat de Räder weren oder de Lievlichkeit vun de Fahrt.“

Ich versuchte mir die Szenerie auszumalen und konnte mir ein schmunzelndes Kopfschütteln nicht verkneifen. „Aber Klara“, fragte ich, „meinst du, das passt hierher?“

Sie legte ihre Hand auf meinen Arm, die Berührung fühlte sich fest und weich zugleich an, wie eine Verheißung, und ihr Lächeln vertiefte sich. „Pass op“, flüsterte sie, ,,de Kerlts fahr’n voll drupp ab, verstahst? Hier kriegst du alles, Jung. Wat Altes, wat Neues. Wandel, de Kiez ändert sick. Wenn sich hier alles nur üm Spaß dreht, warum denn nich’ een beten Wärm un Nachhaltigkeit dorüch, hmm, op’n Rücksitz?“ Sie lachte leise, ein heiserer Klang, der in der Enge des Raums zitterte und nachhallte.

„Und Klimawandel?“, fragte ich und versuchte, den Humor in der Idee zu sehen.

Ihr Gesicht wurde schärfer, ihre Augen blickten mich aus der Tiefe eines inneren Raums heraus an. „„Ach, weet’ ju, Klimawandel geiht uns alle an, Jung. Sülvst hier – de Tieden ännert sik. Sülvst de Deerns fangt an, Müll to sortiern. Gummi, Glas, Bio – allens kriegt nu sien Platz.“ Ihre Stimme klang dabei wie die eines Chors vergangener Geister, die Erinnerung und Mahnung gleichermaßen in sich trugen.

Klara schien sich einen Moment zu verlieren, dann kam sie zurück, ihr Blick wanderte zu einem Bild in ihrer Erinnerung. „„Liev Sina harr neulich een Gast, de seggt, dat St. Pauli bald ünner Water steiht könnt’. Se hett em sachte in’t Ohr huhaucht, dat se mit beide Been längst fast op dissen Bodden steiht, un wenn de Ünnergahn kümmt, denn will se sülvst noch swimmen lernen.“ Ein träumerisches Lächeln glitt über ihre Lippen, bevor sie mir einen tiefen Blick zuwarf. „Nu denkt se dröver na, een Deel vun ehr Inkamen to spennen – för uns, för de, de nah uns kümmt.“

In diesem Moment trat Hannes, der alte Seebär, mit einem verschmitzten Grinsen in die Bar, sein Glas in der Hand wie ein zeremonielles Gefäß. „Na, wat schnackt die Klara da für Pläne?“ rief er laut und hob sein Glas, seine Stimme klang wie das Grollen einer unterirdischen Flut. „Op hette Nächte un een köhlen Kopp!“

„Ganz genau, Hannes,“ erwiderte ich lachend und stieß mit ihm an, während Klara mir ein unergründliches Lächeln zuwarf, als würde sie mir ein tiefes, persönliches Geheimnis verraten. „De Reeperbahn lett sik nich’ ünnerkriegen – nich von’n Wandel vun de Tied, nich von’n lütten Olaf un sien Jungs un ok nich von’n Klimawandel.“ 

Und während draußen die Nacht fortschritt, die Schatten ihre Kreise zogen und das Licht auf den Wänden leise bebte, saßen wir zusammen, tranken auf die Zukunft und wussten, dass dieser Ort sich nie verlieren würde – nicht in der Dunkelheit, nicht in den Fluten, sondern in einer bizarren Ewigkeit, die über Zeit und Wandel hinaus lebendig bleiben würde.