Rezensionen


Hagen – Im Tal der Nibelungen (2024)

Treue, Verrat und der Preis der Ehre


Das Tannenberg-Denkmal (1924), errichtet in Erinnerung an die hier gefallenen deutschen Soldaten sowie ihre Angehörigen. 


Die Nibelungen: Schlachtenlärm und Schicksalsschwere, Liebe und Verrat, Macht und Untergang. Ein Stoff, der zu Großem verpflichtet. Doch wer bei „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ auf archaische Ehrfurcht und strenge Mythenpflege hofft, wird irritiert. Diese Verfilmung greift beherzt zu den Mitteln der Gegenwart: starke Bilder, kantige Charaktere und eine Prise Fantasy. Wolfgang Hohlbeins Vorlage gibt die Richtung vor, und die lautet: Der Mythos lebt, aber er lebt anders.

Natürlich hat sich der Film damit Kritiker eingehandelt. Ein Schwarzer unter Siegfrieds Mannen? Brunhild als feministische Kriegerin? Kriemhild als höfische Dame ohne ihren legendären Rachedurst? Für Traditionalisten mag das blasphemisch wirken. Doch wie jeder Mythos wird auch dieser in der Neuzeit anders erzählt. Und das, was „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ bietet, ist erzählerisch wie visuell kraftvoll – ein Film, der seinen eigenen Weg geht.

Hohlbein nimmt sich Freiheiten. Sein Hagen ist ein Mann, der nicht nur kämpft, sondern fühlt. Er liebt Kriemhild, schweigt aber und stellt das Wohl des Reiches über seine persönlichen Wünsche. Siegfried, der strahlende Held, bekommt Ecken und Kanten: Er betrügt Kriemhild mit Brunhild, was Hagen zur Konfrontation zwingt. Doch der tödliche Stoß kommt am Ende nicht von Hagen – es ist König Gunther selbst, der im Geheimen mordet. Hagen nimmt die Schuld auf sich und wird so zur tragischen Figur.

Hinzu kommen düstere Fantasy-Elemente, die dem Film eine zusätzliche Dimension verleihen: Übernatürliche Kräfte und dunkle Mächte durchweben die Geschichte und lassen die Helden in einem neuen Licht erscheinen. Das Ergebnis ist kein historisch treues Epos, sondern ein intensives Drama über Loyalität, Verrat und persönliche Opfer.

Siegfried ist in dieser Version kein höfischer Vorzeigerecke, sondern ein ungezähmter Krieger. Sein Einzug in Worms hat nichts von höfischer Eleganz; er kommt als Mann, der seinen Platz nimmt, wo er ihn will. Ein Kämpfer, der Regeln beugt, wenn sie ihm nicht passen, und dem Erfolg immer recht gibt.

Die Schlachten zeigen Siegfried von seiner stärksten Seite: Nächtliche Angriffe, krachende Schwerter, und mittendrin der Held, der sich mit unbändiger Energie durch die Reihen der Feinde schlägt. Besonders beeindruckend ist eine Szene, in der er den Kopf eines sächsischen Anführers erbeutet und ihn Hagen vor die Füße wirft – als wäre es ein Beweis seiner Wildheit und seiner Entschlossenheit.

Doch dieser Siegfried bleibt nicht unantastbar. Sein Verhalten bringt das Gefüge der Macht ins Wanken. Seine Beziehung zu Brunhild vor ihrer Vermählung mit Gunther ist nicht nur ein persönlicher Verrat, sondern ein politisches Desaster. Es ist Hagen, der die Tragweite begreift und zwischen Pflicht und Loyalität hin- und hergerissen wird.

Hagen von Tronje ist der moralische Kern des Films. Ein Mann, der sieht, was andere übersehen. Er erkennt früh, dass Siegfrieds impulsives Verhalten den Hof und das Reich gefährdet. Doch er greift nicht aus Impuls oder Hass zur Waffe, sondern aus Notwendigkeit.

Der entscheidende Zweikampf zwischen Hagen und Siegfried ist keine Explosion von Zorn, sondern ein erbitterter, beinahe stoischer Kampf um Prinzipien. Hagen kämpft nicht für sich selbst, sondern für die Ordnung des Reiches. Am Ende ist es Gunther, der den tödlichen Speerstoß ausführt – eine feige Tat, deren Konsequenzen Hagen auf sich nimmt.

Hagens Opfer ist dabei nicht nur physisch, sondern auch moralisch. Er wird zur Zielscheibe von Kriemhilds Hass, obwohl seine Taten von Pflichtbewusstsein und Treue motiviert sind.

Interessanterweise verzichtet der Film auf eine der zentralen Szenen des klassischen Nibelungenlieds: den Streit der Königinnen. Kriemhild und Brunhild begegnen sich hier kaum, ihre Welten bleiben getrennt. Und das passt. Die eine verkörpert die höfische Welt, die andere die archaische Kraft der alten Götter.

Dieser Verzicht ist keine Schwäche, sondern ein Gewinn. Der Fokus liegt klar auf den Männern, ihren Konflikten, ihren Prinzipien. Hagen, Siegfried, Gunther – es sind ihre Entscheidungen, die das Drama vorantreiben.

„Hagen – Im Tal der Nibelungen“ ist ein Film, der mehr will, als nur ein Mythos neu zu erzählen. Er will uns an die Kraft und die Tragik unserer Geschichte erinnern. Die Schlachten sind intensiv, die Charaktere kantig, und die Konflikte bleiben lange im Gedächtnis.

Das ist kein glattgebügeltes Heldenepos, sondern ein Film voller Wucht. Er zeigt uns Männer, die für etwas Größeres kämpfen, scheitern und doch niemals ganz untergehen.

Am Ende bleiben Bilder, die haften: Hagen in der sumpfigen Niederung, Siegfried geschlagen, Gunther schuldig. Und darüber die Frage, was Treue, Pflicht und Ehre in einer Welt bedeuten, die immer chaotischer wird. 

Wer diesen Film schaut, wird nicht mit Ehrfurcht entlassen. Aber mit einem seltsamen Gefühl von Stolz, dass diese Geschichte – mit all ihrer Härte und ihren Widersprüchen – eines verdeutlicht: Diese Männer, Helden, Typen sind keine Fremden. Wir alle sind mehr als tausend Jahre alt.